Ich erinnere mich noch gut an mein erstes fadengebundenes Skizzenbuch aus dem Jahr 2003. Ich verspürte den Drang draußen zu arbeiten. Leider traf ich damals die falsche Wahl. Ich bestellte mir ein Zeichenbuch von der Faber Castell Akademie, das für den Anfang viel zu groß und zu schwer war. Ich hatte wirklich Null Ahnung.
Ich machte alles falsch, was man falsch machen konnte.
Da saß ich nun, vor diesem großen Buch mit diesen großen, wunderbar weißen Seiten. Ich wollte loslegen und etwas ins Buch zeichnen. Es sollte schön werden! Aber was sollte ich nun zeichnen? Nach draußen traute ich mich mit dem Riesenbuch nicht. Es war außerdem zu kalt. Zu Hause lagen nur noch zwei Zitronen im Obstkorb. Also schnitt ich eine der Zitronen an und legte sie zusammen mit der Zweiten vor mich auf den Tisch. Ich öffnete das Buch und schummerte mit dem Bleistift eine Zitrone prominent auf die erste Seite. Ich dachte mir, „Boah, sieht das schrecklich aus.“ Ich suchte nach einem Zitronengedicht und fand etwas von Schiller. Das schrieb ich dann darunter. Danach betrachtete ich die Zeichnung und dachte mir. „Warum habe ich das jetzt gemacht? Das ist an Kitsch nicht mehr zu überbieten. Das wird ein schreckliches Buch. Ich kann das nicht weiter benutzen mit dieser ersten Seite!“ Das war es dann mit dem Buch. Ich habe das Buch noch. Aber wir verstehen uns nicht gut.
Genau zur richtigen Zeit
Das war ein Beispiel, wie Sie es besser nicht machen sollten. Ich brauchte erst mal ein paar Jahre Abstand, bis ich mich wieder an Skizzenbücher traute. Ich kaufte mir ein günstiges Buch, in einem kleineren Format, das auch für Aquarell geeignet war. Trotzdem hatte ich Angst es zu benutzen. Glücklicherweise war fast zeitgleich das geniale Buch „Mut zum Skizzenbuch“ von Felix Scheinberger erschienen. Und dort fand ich den Hinweis auf die berüchtigte Seite 17. Sollte es anderen auch so gehen wie mir? Niemals auf Seite 1 starten, sondern irgendwo im Buch, am besten auf Seite 17! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?
Ich habe deshalb für Sie ein paar Tipps zusammengestellt, die ich alle selber ausprobiert habe.
1. Welches Skizzenbuch?
Überlegen Sie, was Sie gerne zeichnen wollen und wählen Sie danach das Skizzenbuch. Wollen Sie mit Aquarell kolorieren, sollten Sie auf geeignetes Papier achten. Entscheidungshilfen finden Sie im Beitrag Skizzenbuch – die Qual der Wahl.
2. Adresse eintragen!
Bevor sie loslegen, sollten sie unbedingt ihre Adresse ins Buch schreiben. In den meisten Büchern gibt es dafür sogar ein paar vorgedruckte Zeilen. Ein Skizzenbuch bleibt schnell liegen. Wenn Sie zu den Urban Sketchers gehören, dann reichen Sie Ihr Buch möglicherweise in kleiner Runde in einem Café herum. Schnell steht man von dem Kaffeetisch auf, weil man noch seine S-Bahn erreichen muss, und vergisst sein Buch. Wenn Sie Glück haben, erkennt jemand das liegen gebliebene Buch oder ihren Stil und gibt es ihnen zurück. Die besten Chancen haben Sie, wenn ihr Name im Buch steht. In manchen Büchern gibt es eine Zeile für eine Belohnung. Im ersten Skizzenbuch des Zeichners Ch’ng Kiah Kiean stand als Belohnung „1 kiss“. Er addierte dann bei jedem weiteren Buch einen Kuss hinzu. Ich habe keine Ahnung, welche Schmuserei den Finder seines aktuellen Buches erwartet. Aber Sie sollten schon eine Kleinigkeit springen lassen, wenn ihnen ein völlig Fremder ein halb gefülltes Buch zurückbringt.
3. Testen Sie Ihr Material!
Es ist ärgerlich, wenn ein Skizzenbuch nicht mit den gewünschten Stiften harmoniert. Testen Sie ihr Lieblingsmaterial in dem Buch und sehen Sie sich die Rückseiten an. Sie können einfach nur Kleckse oder Linien auf das Papier setzen oder auch die passenden Stifte dahinter zeichnen. Solche Skizzen sind dann praktisch und reizvoll zugleich.
4. Starten Sie nicht auf Seite 1
Wie bereits erwähnt, soll die erste Zeichnung in einem Skizzenbuch besonders gut werden. Aber gerade dieser Anspruch lässt Sie verkrampfen. Starten Sie deshalb weiter hinten im Buch. Es muss nicht die Seite 17 sein aber möglichst auch nicht Seite 1. Wählen Sie selbst!
5. Lockerungsübungen
Schütteln sie Ihre Hand und schraffieren Sie locker auf einer Übungsseite. Wie beim Sport sollten sie nicht kalt loszeichnen. Die ersten Striche werden wohlmöglich zu hart.
6. Öffentlich oder Privat?
Entscheiden Sie, ob das Skizzenbuch für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll.
Ich habe sehr persönliche Skizzenbücher, die ich nie jemandem zeigen möchte. In den Büchern probiere ich Techniken aus oder sammle Gedanken. Diese Bücher sind sehr privat, ähnlich Tagebüchern. Achten Sie darauf, dass diese Bücher auch privat bleiben, dann riskieren Sie bei einer Skizze auch mal etwas.
7. Themenbücher
Neben öffentlichen und privaten Büchern habe ich Themenbücher. Eines verwende ich hauptsächlich für Treffen mit anderen Zeichnern, eines ist für Zeichnungen in der Bahn. Eines habe ich für Porträts, ein anderes benutze ich für Zeichenstudien an Pflanzen und Bäumen. Dann gibt es Bücher für Challenges oder Reisetagebücher. Es ist Ihre Entscheidung! Sie können chronologisch hintereinander arbeiten oder nach Themen. Für mich funktionieren Themenbücher sehr gut.
8. Das kleine Buch für den täglichen Gebrauch.
Besorgen Sie sich ein kleines Buch oder Skizzenheft. Es sollte so leicht und klein sein, dass Sie es in die Hand- oder Jackentasche stecken können. Dazu reicht ein Bleistift, Fineliner oder Kugelschreiber. Dann gibt es unterwegs keine Ausrede mehr, nicht zu zeichnen. Kürzlich habe ich auch ein halbiertes Skizzenheft gesehen. Ich halte das für eine sehr gute Idee.
9. Mut?
Das erste Mal alleine draußen zeichnen! Das kann für manche der Horror sein, wenn das nötige Selbstbewusstsein fehlt. Suchen Sie sich einen Zeichenkumpel. Oder schließen Sie sich einer Urban Sketchers Gruppe an. Zu zweit oder in der Gruppe verliert sich die Angst schnell und sie werden locker! Versprochen! Erfahrungsgemäß sammeln sich die Leute um den besten Zeichner und Sie haben erst mal Ruhe. Und irgendwann haben Sie auch den Mut alleine los zuziehen.
10. Zeichnen sie anfangs nicht in direkter Nachbarschaft!
Das kann echt problematisch sein. Wenn ein Fremder über die Schulter guckt, dann kann ich leicht mit Kommentaren umgehen. Sobald jedoch ein Bekannter, Nachbar etc. hinter mir steht, gleicht das einem Outing. Ich verkrampfe dabei und zeichne wie ein absoluter Anfänger. Das ist dann doppelt peinlich – Misslungenes Outing und eine verunglückte Zeichnung.
11. Zeichnen im Auto
Wenn Sie sich draußen noch unwohl fühlen, probieren Sie mal im Auto zu zeichnen. Erstens wird man in Ruhe gelassen, wenn man nicht gerade unvorschriftsgemäß parkt, zweitens hat man im Fahrzeug ein sicheres behagliches Gefühl und drittens sitzt man bequem. Das ist im Übrigen auch eine gute Strategie für kalte Winter. Auch als Beifahrer während langen Reisen macht das Spaß!
12. Schutz im Rücken!
Stehen Sie mit dem Rücken zur Wand und ich meine damit nicht die Redensart. Eine Wand im Rücken reduziert lästige Blicke. Das funktioniert natürlich auch mit einer Hecke.
13. Kopfhörer
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mich Menschen in Ruhe lassen, wenn ich einen Kopfhörer trage. Sie brauchen nicht mal Musik hören, wenn Sie nicht wollen. Die Musik hilft mir jedoch schneller in den Flow zu kommen. Nach ein paar Minuten nehme ich die Musik nicht mehr wahr. So sehr vertiefe ich mich ins Zeichnen. Genauso schwindet auch mein Zeitempfinden. Fragen nach der Zeit, die man für eine Zeichnung benötigt hat, kann ich nur schwer beantworten.
14. Auch mal „Nein“ sagen!
Es ist wirklich seltsam. Wenn ich schreibe oder mit dem Smartphone surfe, kommt normalerweise niemand auf die Idee zuzusehen. Aber sobald ich zeichne, meinen viele, sie hätten die Berechtigung dafür. Sätze wie „Haben sie das selbst gezeichnet?“ wenn ich den Stift gerade in der Hand halte, sind auch keine Seltenheit. Oft quatschen mich die Leute an. Wenn Sie keine Lust darauf haben, tragen Sie einen Kopfhörer. Oder trauen Sie sich auch mal, freundlich und bestimmt zu sagen, dass Sie sich konzentrieren müssen. Wenn Sie jedoch ein geselliger Typ sind, können manchmal auch sehr nette Gespräche entstehen. Es ist ihre Entscheidung.
15. Die gepackte Zeichentasche
Ich habe einen Notebook-Rucksack umfunktioniert. Es befindet sich darin ein bequemer 3-Bein Zeichenhocker, 2 Skizzenbücher, Aquarellfarben, ein gut gefülltes Mäppchen mit Füllern, Stiften, Knetgummi, Reisepinsel, Wasserpinsel, ein Wasserbehälter, Taschentücher, eine Brille und etwas Geld. Im Sommer packe ich noch Sonnenschutz und eine Kappe dazu. Dieser Rucksack steht fertig gepackt, bereit für einen schnellen Zeichentrip. Ich brauche dann nur noch eine Jacke und mein Handy. Wenn ich immer erst packen müsste, würden mich Tausend Dinge ablenken und ich würde nie losziehen.
16. Fotoapparat oder Smartphone
Manchmal passieren unvorhergesehende Dinge. Ein Bekannter kommt vorbei und man möchte nicht mehr weiterzeichnen, ein Lastwagen blockiert die Sicht, das Wetter spielt nicht mehr mit oder das Objekt der Begierde entfernt sich. Wie oft habe ich mich schon geärgert, wenn ein Fahrzeug mitten in der Zeichensession wegfährt. Ein Foto zu Beginn hält das Gesehene fest. Notfalls lässt sich nachträglich noch etwas kolorieren. Und wenn die Skizze fertig ist, können Sie außerdem den Gegenstand plus Skizzenbuch knipsen. Fotografieren Sie jedoch nicht ungefragt Menschen in Großansicht.
17. Experimente
Ein Skizzenbuch sollte Sie zu Experimenten einladen. Machen Sie alles damit. Es gibt das Buch „Mach dieses Buch fertig!“ Gar keine so schlechte Idee. Sie müssen es ja nicht gleich durchbohren oder abfackeln. Aber sie sollten sich wirklich ein Buch halten, in das sie Kollagen kleben, mit Acryl herumtropfen, schablonieren, Stempeln, klecksen und anschließend um die Kleckse herumzeichnen, Kaffee oder Tee darauf schütten, mit Stoffen arbeiten, Phantasietiere malen oder einfach Muster und Schraffuren testen. Leben Sie ihre Kreativität im Buch. Es könnte Ihr Lieblingsskizzenbuch werden.
18. Fehler sind Erfahrungen!
Es gibt keine Fehler in einem Skizzenbuch. Manchen „schrecklichen“ Fehler empfinden Sie in der Zukunft als gar nicht so übel. Und wenn es ihnen nach einigen Tagen oder Wochen trotzdem nicht gefällt, dann besorgen Sie sich Acrylsprühfarbe und lackieren die Seite damit. Oder Sie kleben ein Stück Papier auf die verunglückte Stelle. Menschen lernen aus Fehlern. Lassen Sie Fehler zu. Sie werden dadurch zu einem besseren Zeichner.
19. Seite für den Rückzug
Ich habe in meinem Bahn-Skizzenbuch eine Seite an der ich fortlaufend arbeite. Wenn ich nun einen Menschen im Zug zeichne und mir die Blicke anderer Passagiere zu aufdringlich werden oder ich merke, daß das „Opfer“ etwas zu kritisch zurückblickt, dann blättere ich zu dieser Seite, bis sich die Leute wieder desinteressiert abwenden. Im schlimmsten Falle klappe ich das Skizzenbuch mit einem „Schnapp“ schnell zu. Das funktioniert recht gut mit kleinen Büchern im Porträtformat.
Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß beim Skizzieren. Gerne können sie mir Ihre Erfahrungen in das Kommentar-Formular schreiben. Vielleicht haben Sie auch noch die ein oder andere Idee für die Leser dieses Blog.